Eine subtile Form einer Versager- Projektion erfahren Patienten, wenn im Geist der sie
betreuenden Personen, bewusst oder unbewusst, ein Standart darüber besteht, wie ein guter
Tod aussieht. Dann vermitteln wir den Eindruck, dass sie versagen, wenn ihr Erlebnis nicht
mit unsrem Maßstab übereinstimmt. Oftmals projizieren wir auf sie unbewusste Ängste wie
z.B. Schmerzen, emotionales Unbehagen und Wut, die wir selbst in Bezug auf den Tod haben.
Dazu möchte ich ein paar Fragen in den Raum stellen, damit du für dich selbst erfahren
kannst, worüber ich rede:
•
Kannst du dem Menschen, den du betreust erlauben, darüber wütend zu sein, dass er
sein Leben verliert, ohne Tipps zu geben und zu versuchen, ihn zu fixieren?
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Kannst du dem Menschen, den du betreust erlauben, sich lange und tief darüber zu
beklagen, wie schrecklich die Erfahrung des Alterns oder des Sterben ist, ohne
davonlaufen zu wollen, um dich mit einer Freundin über dessen labilen Geisteszustand
zu unterhalten?
•
Kannst du es akzeptieren, dass du oder der Arzt manchmal nicht alle Schmerzen der
Patienten unterdrücken können, ohne dich selbst wie eine Versagerin In diesem
Dokument wird meist die weibliche Form verwendet. Männer mögen sich bitte
gleichberechtigt angesprochen fühlen. zu fühlen?
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Kannst du in die Augen eines Menschen sehen, der an Schmerzen leidet und einfach
stehen bleiben und Mitgefühl zeigen?
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Kannst du es auf der anderen Seite zulassen, dass du den Menschen liebst, den du privat
oder professionell betreust, und kannst du weinen, wenn jemand stirbt.
•
Kannst du deine Wut spüren, wenn Dinge anders laufen, als du es dir vorgestellt hast,
ohne sofort Schuld oder Schuldige im Aussen zu suchen?
Wenn es uns ein Anliegen ist, unsere Mitmenschen ganzheitlich betreuen zu wollen, ist es gut,
wenn wir uns über unsere persönliche Definition eines „guten Todes“ bewusst werden und
erkennen, dass dies primär nur ein Gedanke ist. Es ist nichts Falsches daran, diesen Gedanken
zu haben. Es kann nur einfach sehr schmerzhaft sein, wenn wir unsere Gedanken mit dem
Leben eines anderen Menschen identifizieren und von ihm/ihr erwarten, dass sie unseren
Anforderungen entspricht. Dieser Schmerz wird noch dadurch verstärkt, dass diese Menschen
zu einem gewissen Grad in einer abhängigen Beziehung zu uns stehen.
Nun möchte ich mich dem Unterschied zwischen Heilen und Kurieren zuwenden.
Zu Beginn ein paar Fragen:
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was suggeriert dir der Begriff „unheilbar krank“?
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Ab wann ist dieser Begriff deiner Meinung nach angebracht?
•
Die Geburt eines Menschen beinhaltet die Diagnose, dass er sterben wird. Welchen
Unterschied macht es, wenn eine terminale Diagnose wie Krebs dazukommt?
•
Wenn all das eine Frage rationaler Definitionen ist, was sind wir dann als Mensch
jenseits davon?
Zum Beginn dieser Abhandlung stellte ich die These auf, dass Schmerz und Kurieren die
Domäne der klassischen Schulmedizin darstellen, worauf ich nun gerne näher eingehen
möchte.
Kurieren ist die Elimination der Krankheit eines Körpers. Kurieren kann geschehen, ohne dass
Heilung eingetreten ist und ein Mensch kann geheilt sterben.
In einer palliativen (erleichternden) Umgebung oder bei der Langzeitpflege eines Menschen ist
die Basiserwartung, dass es keine Hoffnung auf Kurieren mehr gibt. Dort ist Kurieren definiert
als die Manipulation körperlicher Symptome zu einem angenehmen oder wenigstens
erträglichen Grad für die Patienten und die Angehörigen.
Das Kurieren und Erleichtern von Symptomen erfordert von professionellem Personal einen
hohen Grad and Wissen über körperliche Funktionen, Krankheiten und dafür angemessene
Behandlung und Techniken. Wenn sich eine Patientin mit starker körperlicher Symptomatik
wie Schmerzen, Übelkeit oder Erstickungsängsten konfrontiert sieht, wird es für sie extrem
schwierig, den Geist zu fokussieren, um Übungen zur Stresserleichterung, zur Förderung von
Einsicht oder Klarheit durchzuführen. Aus diesem Grund ist es eine durchaus wichtige Praxis
für Buddhisten, den Schmerzen und Ängste auch medikamentös soweit in Griff zu bekommen,
dass der Geist sich noch auf Bereiche besinnen kann, die ganz und heil sind. Wenn der Geist
von Schmerzen vollständig absorbiert ist, wird er keine Ressource mehr haben, Leiden und
Schmerz unterscheiden zu können und damit wird der Weg zur Erkennung des Heil-Seins sehr
schwierig bis verbaut. Selbst Ayya Khema, die deutsche Theravada Nonne und eine Meisterin
in den geistigen Vertiefungen, sagte zum Thema der Schmerzbekämpfung ihres Brustkrebses,
dass sie natürlich die Schmerzen wegmeditieren könne, aber dann habe sie keine Ressourcen
mehr, Sinnbringendes oder Klarblick zu praktizieren.
Heilung oder Heil-Sein ist etwas, was zum Menschsein gehört, wie seine
Würde. In christlicher Sprache ausgedrückt, sind wir Kinder Gottes
komplett unabhängig davon, wie zerfallen unser Körper ist. Was oder wie
auch immer wir sind, sind wir Teil dieses heiligen Lebens und haben darin
unseren Platz, unsere Würde und unseren Wert. Ob wir selber oder
jemand anders dies sieht oder nicht, tut dem Tatbestand keinen Abbruch.
Leider ist es so, dass wir dies meist nicht erkennen und viele Erlebnisse in
unserem Leben angesammelt haben, die uns mehr oder weniger
traumatisierten. Trotzdem drückt dieses intuitive Wissen ab Heilung und
Heil-Sein sich immer wieder an die Oberfläche unseres Bewusstseins und
wir suchen nach Erfahrungen der Ganzheit und Verbundenheit mit allem
Leben. Das wir das zu allen Zeiten und an jedem Ort sind, erfahren wir
dann als Gnade. Diese Gnade ist aber nicht von außen gegeben, sondern die Erfahrung einer
tiefen Wirklichkeit unseres Seins.
Heilsein ist etwas anderes als geheilt werden. Geheilt werden ist etwas Passives, aber Heilen
auf der anderen Seite ist eine lebenslange Praxis. Sie beinhaltet alle Bereiche des Daseins:
körperlich, spirituell, emotional, mental und sozial. Die Folgen innerer Heilung haben viele
Facetten, zum Beispiel:
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Körperlich: Abnahme körperlicher Schmerzen und Zunahme von Wohlbefinden.
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Spirituell: Ein Gefühl von Verbundenheit mit allem Sein und eine Verbindung zu dem,
was größer ist als unser kleines Ego. Die Erfahrung von Gott/ dem Universum/ unserer
Wahren Natur oder wie immer wir es nennen wollen. Akzeptiert und angenommen zu
sein. Es bedeutet auch, Vergebung zu finden.
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Emotional: Heilung gibt uns Einsicht in unsere Gefühlswelt und akzeptiert die dunklen
sowohl als auch unsere lichten Seiten ohne zu Verleugnen, zu unterdrücken oder zu
Verurteilen. Dies ist vollkommene Eigenakzeptanz.
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Geistig: Löst eingefahrene und rechthaberische Gedankenmuster auf und beginnt das
Nicht-Wissen jenseits des Fassbaren zu akzeptieren.
•
Sozial: Verbessert Beziehungen mit sich selbst, der Familie, der
Gemeinschaft und der Erde.
Unheilbar Krank???